Der letzte Bus nach Talmey - Vorgeschichte

Warum war das so leicht gewesen? Eigentlich hatte ich damit gerechnet, mein altes Leben – meine Mutter hinter mir zu lassen, würde sich zumindest ein bisschen schlecht anfühlen. Ich seufzte auf, der Rücken schmerzte vom langen Sitzen, ich drückte mich tiefer in das abgescheuerte Polster. Wann setzte der Flieger endlich zum Sinkflug an? Keine Ahnung, wie oft ich auf die Uhr schaute, das Zifferblatt – wie festgemauert – sogar der Sekundenzeiger schien gegen mich zu arbeiten. Gerade jetzt.
Mein Opa Pavel musste längst auf dem Weg zum Flughafen sein, um mich abzuholen, die Strecke dauere ein paar Stunden, hatte er betont. Unbeschreiblich, wie ich mich auf ihn freute. Seit er mich als Kleinkind besucht hatte wusste ich, ich musste dahin, wo er lebte: Nach Wyoming, ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Weg von meinem frostkalten Leben, den Wänden aus trübem Beton, deren einzige Aufgabe zu sein schien, die Gemüter der Menschen in die Knie zu zwingen. 


Endlich! Das Zeichen, die Gurte anzulegen, ich machte eine Handbewegung und die Schnalle schnappte ein. Was für ein Geräusch in meinen Ohren. Mein Blick blieb an der Tasche hängen, daran baumelte das Kartonschild mit meinem Namen: Rhea Ortan. Irgendwo schrie ein Baby, ein Mann hatte einen Hustenanfall und ich lächelte. Ich würde mit dem Wind reiten,
jeden Tag an der Sonne sein und endlich jemanden haben, der mir zuhört. Wirklich zuhört, nicht dieses oberflächliche Zuhören, bei dem die Augen des Gegenübers an einem vorbei, auf die Spinne in der Ecke hinter einem oder an die Fluse auf dem Pulli wanderten. Nein, Pavel war aufmerksam, das hatte ich bei seinem letzten Besuch getestet. Er pflegte auf mich Acht zu geben, als wäre ich ein bezaubernder – ja, ein wichtiger Mensch.

Mein Magen wurde gehoben, hier über den Wolken schien das Wetter Kapriolen zu schlagen. Ist das normal? Nie zuvor war ich geflogen, ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf meine selbstgemalte Zukunft, um Übelkeit abzuwehren.

Es nützte nicht. Zielgerichtet glitt meine Hand in die Seitentasche meines Gepäckstückes, unter meinen angewinkelten Beinen, ich zog das Foto hervor und hielt es mir vor das Gesicht. Vor zwei Jahren hatte Pavel es mir geschenkt. Darauf war er zu sehen, stolz, vor seiner Farm. Eine Koppel mit Pferden, die sich unter Tannenbäumen auszuruhen schienen. Wie selbstverständlich träumte ich mich in Sekundenschnelle an diesen Ort und alles um mich herum zerfloss.

Abermals sackte der Flieger ab. Ich krallte mich mit kaltem Griff an der Sitzlehne fest, das Foto segelte zu Boden, schnell hob ich es auf wie einen Schatz. Die Frau neben mir sah aus, als würde sie mir gleich über die Tasche spucken. Wann landete diese Maschine endlich? Die letzte Mahlzeit rumpelte in meinem Bauch und nach so vielen Stunden schrie mein Körper immer lauter nach Bewegung. Die bevorstehende, lange Autofahrt würde nur durch den Anblick der Landschaft erträglich sein, das war mir bereits jetzt klar.

Ob meine Mutter an mich dachte? Wahrscheinlich litt sie in der Sekunde an Zeitmangel oder fingerte nach ihrem Handy zwischen glitschigen Modezeitschriften. Ich würde sie irgendwann anrufen. Bestimmt nicht in den ersten Wochen. Jetzt war Pavel wichtig und der würde bereit stehen. Ja, er würde mir die Hand reichen, damit ich die ersten Schritte in mein neues Leben wagte.

Da wusste ich noch nicht, dass er nie am Flughafen auftauchen würde...

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